Kritik
1234Dr. Edwin Kratschmer - Unterwellenborn/ Thüringen
Erste Ausstellung in diesem Kabinett also Matthias Olbrisch mit seinem zeichnerischen Werk, einem erotischen Glossarium. Denn Olbrisch ist einer, der
erotische Tabus nicht akzeptiert. Er ist - besonders in seinen früheren Blättern - geradezu ein Erotomane, und seine Zeichnungen sind Erotogramme. Mann/ Frau
haben hier - in strengem Geviert - ihre intime Spielwiese, und Olbrisch lässt sie auf ihr hin- und hermutieren zwischen Monster und Mimose. Erotik kurz vor dem
Kannibalismus. Machos umwerben drohend, grollend das Weib. Oder das Weib als Vamp, reduziert auf laszive Anatomie. Ein modernes surreales Kamasutra. Und
Olbrisch zelebriert das alles wie auf einem Tablett, denn er ist ein Schönschschreibkünstler, ein Stilexentriker, ein Linienartist und -fetischist, der mit
seinen Spielfiguren und -figurinen ein ästhetisch geregeltes Spiel betreibt. Am Ende ist jedes Blatt ein harmonisch ausgewogenes Spielfeld, in strengem Rahmen
eingesperrtes Intimes. Ein Stück Kalligraphie, an dem der psychoanalytische Graphologe seine helle Freude hätte. In die letzten Arbeiten bricht jedoch immer
vehementer Welt. Die Darstellungen bekommen einen Biss. Aus den Paarsituationen werden grimmige Gesellschaftsspiele, und sie sprengen den engen Rahmenkerker.
Satire wechselt in Sarkasmus.
Olbrisch hat Ahnen: Breugel, Dali, Dominguez. Aber auch die Disney-Cartoons und Comicstrips müssen ihn fasziniert haben, der
derb-deftige Zugriff auf zwischenmenschliche Tortur. Die Farbe ist den Haarlinienzeichnungen oft Koloratur, Garnierung, wohl auch Hinweis auf die Buntheit
der Welt und der Akteure. Olbrisch ist also ein Gourmet, der seine Linien- und Farbgerichte auf melancholisch weißem Papier satirisch und kulinarisch serviert.